Portrait
Neudorf
Text und Fotografie
Axel Lambrette
Ein Dorf, sehr abgeschieden in der Uckermark, vielleicht ein gutes Dutzend Häuser und gleich eingangs, ein wenig versteckt, der Hof von Sylvia Juhl und ihrer wiedergefundenen Jugendliebe Klaus Schitthelm. Eigentlich kein Hof, sondern die ehemalige Werkstatt der LPG, oder irgendwie beides.
Der Gebäudekomplex, dessen schlichte Schönheit aus den Notwendigkeiten der hier verrichteten Arbeit gewachsen ist, ist dreigeteilt. Auf der einen Seite, wo früher Landmaschinen gewartet wurden, deren Ölgeruch noch immer nicht ganz verflogen ist, entsteht hinter großen Fenstern die Kunst von Klaus. Auf der anderen Seite, gedrungener und wärmer, findet sich die Werkstatt von Sylvia. Verbunden sind beide Seiten durch einen Wohnbereich, dessen Zentrum eine große Küche bildet. Hier treffen nicht nur Klaus und Sylvia zum täglichen Kniffelspiel aufeinander. Es scheint als säße hier immer auch irgendein Nachbar, der kurz für einen Plausch vorbeischaut oder eine Freundin, die dann bald mit Sylvia in der Werkstatt verschwindet.
Diese Werkstatt wird fast ganz eingenommen von mehreren Gerätschaften, die aus einer Zeit zu stammen scheinen in der Maschinen noch eine Seele hatten. Ihre schwarzen Oberflächen, Griffe und Räder strahlen Selbstbewusstsein aus und möchten angefasst werden. Dass sie gebraucht werden, zeigen Papier- und Leinenreste auf dem Boden an. Auf einer großen Arbeitsplatte liegen Stapel von halbgebundenen Zeitungen für Archive, darunter zahlreiche Rollenfächer und Schubladen, viele davon leicht geöffnet, als wäre die Materialflut darin kaum zu bändigen. Werkzeugschränke, Vitrine und Stühle sind sämtlich offenbar mit Bedacht gewählt. Kein Möbel findet sich, dass nicht eine Geschichte erzählt. Es ließe sich viel Zeit mit dem Betrachten dieser Werkstatt verbringen.
Umgeben also von diesen Möbel- und Maschinenpersönlichkeiten, versieht Sylvia überwiegend alte Schriftstücke mit neuem Leinen. Es ist ein bisschen wie in einem Modeatelier oder einer Änderungswerkstatt für Kleidung - nur für Bücher. Farben und Schnitte werden gewählt und der Charakter alter Bücher wiederhergestellt oder ein passendes Gewand für einen neuen Zweck geschaffen. Ein solcher Zweck kann auch eine Box, eine Schachtel, vielleicht ein Schuber sein, gefragt für Kunst-Portfolios oder zur Aufbewahrung von persönlichen Schätzen.
Das alles kam eher zufällig in Sylvias Leben. Als in ihrer Schule in Salzwedel die obligatorische Frage nach einer Lehrstelle aufkam, entschied sie sich im Wortsinn für das nächstbeste: Die Buchbinderei gegenüber der Schule. Sie ist in diese Arbeit hineingewachsen und wurde letztendlich Buchbindermeisterin, ein Jahr bevor dieser Titel in einem neuen Land obsolet wurde. Der Anfang in ihrer eigenen Buchbinderei war schwierig. Zusätzliches Geld konnte mit einer einfachen Offsetdruckmaschine generiert werden, indem Geschäftspapiere vervielfältig wurden und Flugblätter für das Neue Forum. Wie es scheint, fielen ihr in der Folgezeit die Aufträge einfach zu oder zumindest möchten wir das glauben, weil es so gut zu ihr passen würde. Zu diesen Aufträgen gehört ihre Arbeit für die Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel oder das Binden von Zeitungen für die Archive regionaler Verlage.
Abgesehen von einem dreijährigen Ausflug in das Magazin des örtlichen Museums als Verwalterin hat sie nie etwas anderes gemacht als die Buchbinderei. Was anfangs ein Zufall war ist nach und nach nicht nur ihr Beruf sondern auch Berufung geworden. Aus einer Werkstatt sind zwei geworden, die alte in Salzwedel und seit 2004 eine neue in Neudorf bei ihrem Mann. Ihre Materialien hat sie sich gänzlich zu eigen gemacht. Sie sind Ausdrucksmittel geworden. So baut sie komplizierte matroschkaartige Schachteln, die zum einen demonstrieren was mit Leinen und Pappe möglich ist. Zum anderen werden sie zum Sinnbild von Kastendenken, Geheimnis oder Versteck. Hier verschwimmt die Grenze zur freien Kunst, ein Feld in dem sich Sylvia ganz unprätentiös mitunter wiederfindet.
So fertigte sie zuletzt für eine Ausstellung im Franziskanerkloster in Angermünde eine Art Allegorie des Kriegstraumas. Auf einem gut zweieinhalb Meter langen Tableau liegt eine Schriftrolle; auf der Schriftrolle sind die Anfänge, die Anreden aus den Briefen ihrer Onkel aus dem Krieg an Sylvias Großmutter versammelt. Zu Anfang addressieren sie noch mit "Mutter", zum Ende hin ist es die "herzallerliebste Mama". Der schwarze Rahmen aus Buchbinderleinen weckt Assoziationen an einen Sarg oder eine Trage. Ein einfaches und direktes Bild, dessen Eindruck wir uns kaum entziehen können.
Beim Gedanken angefangen scheint das Buchbinden wie der letze Schritt. Worte, Sätze, Kapitel. Sie bekommen ein eigenes Gewicht, eine eigene Form, Beständigkeit. Sie werden nahbar, riechen und schmecken sogar. Ebooks machen das vergessen. Taschenbücher reichen nicht heran an diese Erfahrung. In Sylvias Werkstatt wird sie zelebriert.
Sylvia Juhl. Buchbindermeisterin. Restauriert Bücher und zieht Bilder und Landkarten auf. Für Präsentations- und Aufbewahrungszwecke fertigt sie maßgeschneiderte Boxen, Schachteln und Schuber an.
Portrait
Neudorf
Text und Fotografie
Axel Lambrette
Ein Dorf, sehr abgeschieden in der Uckermark, vielleicht ein gutes Dutzend Häuser und gleich eingangs, ein wenig versteckt, der Hof von Sylvia Juhl und ihrer wiedergefundenen Jugendliebe Klaus Schitthelm. Eigentlich kein Hof, sondern die ehemalige Werkstatt der LPG, oder irgendwie beides.
Der Gebäudekomplex, dessen schlichte Schönheit aus den Notwendigkeiten der hier verrichteten Arbeit gewachsen ist, ist dreigeteilt. Auf der einen Seite, wo früher Landmaschinen gewartet wurden, deren Ölgeruch noch immer nicht ganz verflogen ist, entsteht hinter großen Fenstern die Kunst von Klaus. Auf der anderen Seite, gedrungener und wärmer, findet sich die Werkstatt von Sylvia. Verbunden sind beide Seiten durch einen Wohnbereich, dessen Zentrum eine große Küche bildet. Hier treffen nicht nur Klaus und Sylvia zum täglichen Kniffelspiel aufeinander. Es scheint als säße hier immer auch irgendein Nachbar, der kurz für einen Plausch vorbeischaut oder eine Freundin, die dann bald mit Sylvia in der Werkstatt verschwindet.
Diese Werkstatt wird fast ganz eingenommen von mehreren Gerätschaften, die aus einer Zeit zu stammen scheinen in der Maschinen noch eine Seele hatten. Ihre schwarzen Oberflächen, Griffe und Räder strahlen Selbstbewusstsein aus und möchten angefasst werden. Dass sie gebraucht werden, zeigen Papier- und Leinenreste auf dem Boden an. Auf einer großen Arbeitsplatte liegen Stapel von halbgebundenen Zeitungen für Archive, darunter zahlreiche Rollenfächer und Schubladen, viele davon leicht geöffnet, als wäre die Materialflut darin kaum zu bändigen. Werkzeugschränke, Vitrine und Stühle sind sämtlich offenbar mit Bedacht gewählt. Kein Möbel findet sich, dass nicht eine Geschichte erzählt. Es ließe sich viel Zeit mit dem Betrachten dieser Werkstatt verbringen.
Umgeben also von diesen Möbel- und Maschinenpersönlichkeiten, versieht Sylvia überwiegend alte Schriftstücke mit neuem Leinen. Es ist ein bisschen wie in einem Modeatelier oder einer Änderungswerkstatt für Kleidung - nur für Bücher. Farben und Schnitte werden gewählt und der Charakter alter Bücher wiederhergestellt oder ein passendes Gewand für einen neuen Zweck geschaffen. Ein solcher Zweck kann auch eine Box, eine Schachtel, vielleicht ein Schuber sein, gefragt für Kunst-Portfolios oder zur Aufbewahrung von persönlichen Schätzen.
Das alles kam eher zufällig in Sylvias Leben. Als in ihrer Schule in Salzwedel die obligatorische Frage nach einer Lehrstelle aufkam, entschied sie sich im Wortsinn für das nächstbeste: Die Buchbinderei gegenüber der Schule. Sie ist in diese Arbeit hineingewachsen und wurde letztendlich Buchbindermeisterin, ein Jahr bevor dieser Titel in einem neuen Land obsolet wurde. Der Anfang in ihrer eigenen Buchbinderei war schwierig. Zusätzliches Geld konnte mit einer einfachen Offsetdruckmaschine generiert werden, indem Geschäftspapiere vervielfältig wurden und Flugblätter für das Neue Forum. Wie es scheint, fielen ihr in der Folgezeit die Aufträge einfach zu oder zumindest möchten wir das glauben, weil es so gut zu ihr passen würde. Zu diesen Aufträgen gehört ihre Arbeit für die Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel oder das Binden von Zeitungen für die Archive regionaler Verlage.
Abgesehen von einem dreijährigen Ausflug in das Magazin des örtlichen Museums als Verwalterin hat sie nie etwas anderes gemacht als die Buchbinderei. Was anfangs ein Zufall war ist nach und nach nicht nur ihr Beruf sondern auch Berufung geworden. Aus einer Werkstatt sind zwei geworden, die alte in Salzwedel und seit 2004 eine neue in Neudorf bei ihrem Mann. Ihre Materialien hat sie sich gänzlich zu eigen gemacht. Sie sind Ausdrucksmittel geworden. So baut sie komplizierte matroschkaartige Schachteln, die zum einen demonstrieren was mit Leinen und Pappe möglich ist. Zum anderen werden sie zum Sinnbild von Kastendenken, Geheimnis oder Versteck. Hier verschwimmt die Grenze zur freien Kunst, ein Feld in dem sich Sylvia ganz unprätentiös mitunter wiederfindet.
So fertigte sie zuletzt für eine Ausstellung im Franziskanerkloster in Angermünde eine Art Allegorie des Kriegstraumas. Auf einem gut zweieinhalb Meter langen Tableau liegt eine Schriftrolle; auf der Schriftrolle sind die Anfänge, die Anreden aus den Briefen ihrer Onkel aus dem Krieg an Sylvias Großmutter versammelt. Zu Anfang addressieren sie noch mit "Mutter", zum Ende hin ist es die "herzallerliebste Mama". Der schwarze Rahmen aus Buchbinderleinen weckt Assoziationen an einen Sarg oder eine Trage. Ein einfaches und direktes Bild, dessen Eindruck wir uns kaum entziehen können.
Beim Gedanken angefangen scheint das Buchbinden wie der letze Schritt. Worte, Sätze, Kapitel. Sie bekommen ein eigenes Gewicht, eine eigene Form, Beständigkeit. Sie werden nahbar, riechen und schmecken sogar. Ebooks machen das vergessen. Taschenbücher reichen nicht heran an diese Erfahrung. In Sylvias Werkstatt wird sie zelebriert.
Sylvia Juhl. Buchbindermeisterin. Restauriert Bücher und zieht Bilder und Landkarten auf. Für Präsentations- und Aufbewahrungszwecke fertigt sie maßgeschneiderte Boxen, Schachteln und Schuber an.
Ein Projekt von:
Gefördert im Programm „Neulandgewinner“ der Robert Bosch Stiftung.
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Gefördert im Programm „Neulandgewinner“ der Robert Bosch Stiftung.