Portrait
Schwedt
Text und Fotografie
Axel Lambrette
Auf einem großen Tisch liegen zugeschnittene Lederbahnen. Zwei bis drei Meter sind sie lang. Zwischen der Haut des Rindes und diesen Bahnen steht ein komplizierter und langwieriger Prozess. Der Bauer verkauft die Haut für vielleicht 15€. Sie muss dann gewaschen, gespalten und zugerichtet werden für das Gerben. Das Gerben bestimmt die Eigenschaften des Leders, die Festigkeit, Farbe und Widerstandsfähigkeit. Am Ende des Prozesses ist eine nun Leder gewordene Haut gut 600€ wert. Hier auf diesem Tisch liegt es als Werkstoff und wurde vorrangig mit Blick auf seine zukünftigen Aufgaben ausgewählt. Der Tisch steht in einer Werkstatt in einem Industriegebiet in Schwedt und gehört Karolin Werkmeister, die hier Reitsättel anpasst und repariert.
Sie fing mit 8 Jahren an zu reiten und zahlreiche Preisschleifen an den Wänden zeugen von dem großem Ernst mit dem sie diesen Sport verfolgte. Dazu gehörte auch, dass sie als Jugendliche immer wieder eine Lösung für zerrissenes Zaumzeug finden musste. Sie behalf sich mit Kordeln, Seilen und auch Lederriemen, die zuvor einen Tornister oder ähnliches halten mussten. Es war der Anfang einer Entwicklung, die im Rückblick etwas ganz Natürliches, Fokussiertes und Gradliniges hat. Wesentliche Stationen waren später ein Praktikum bei einem Sattler in Thüringen und ihre Ausbildung in Hannover bei G. Passier & Sohn GmbH, die sie direkt nach dem Abitur begann. Ihren Meisterbrief wiederum erhielt sie in Bayern. Sie ist stolz darauf eine Meisterin ihres Fachs zu sein und das lässt sich an deutlich mehr ablesen als an jenem Brief.
Wir stehen nördlich von Berlin auf einem Reiterhof. Auf einer Weide toben sich ein paar Pferde aus und vor uns steht der Wallach einer Kundin. Er würde es den anderen lieber gleichtun und versucht der Begutachtung zu entgehen. Auch die Reiterin scheint nervös. Frau Werkmeister untersucht den Pferderücken. Der Rücken spricht. Er erzählt von der Haltung der Reiterin, der Behandlung des Pferdes und den Gewohnheiten beider. Den Rücken verstehen zu können, setzt Erfahrung voraus. Frau Werkmeister strahlt die Autorität einer Frau aus, die diese Erfahrung hat - daher die Nervosität der Reiterin. Es geht nicht einfach darum, einen Sattel zu justieren. Es geht darum die Bedürfnisse von Reiterin und Pferd, vermittelt über dieses hochkomplexe Gebilde aus Leder, Wolle und Metall in Einklang zu bringen. Die Sattlerin braucht Einfühlungsvermögen in jede Richtung. Sie denkt physiologisch und psychologisch in Bezug auf Tier und Mensch. Sie muss so versiert in ihrem Handwerk sein, dass sie sowohl den "richtigen Sattel" als auch ihre Kunst immer wieder neu denken kann. Die Pferde und Menschen, Moden und Reitstile, sie ändern sich ständig.
Zusammen gehen wir in die Reithalle. Der weiche Hallenboden dämpft alle Geräusche zu einer konzentrierteren Atmosphäre. Reiterin, Pferd und Sattel ziehen Bahnen. Die Sattlerin beobachtet, filmt, fotografiert und gibt kurze Anweisungen. Alles wird in ein mehrseitiges Formular, dass sie selbst entwickelt hat, notiert. Später wird dieses als Vorlage für die notwendigen Arbeiten in der Werkstatt dienen.
In der Regel überarbeitet Frau Werkmeister die Sättel ihrer Kundinnen und Kunden nur. In diesem Fall ist allerdings der Baum, eine Art Skelett im Inneren des Sattels, gebrochen, was sehr selten passiert. An einem neuen Sattel führt dann kein Weg vorbei. Aus einer Auswahl, die im Firmentransporter immer mitreist zu Kundenbesuchen, empfiehlt die Sattlerin zwei Sättel, die geeignet sein könnten. Auch neu müssen sie angepasst werden. Da Frau Werkmeister sehr gefragt ist, wird sich die Kundin, bis sie wieder perfekt auf ihrem Pferd sitzen kann, ein paar Wochen gedulden müssen. Offenbar weiß die Kundin Frau Werkmeisters Arbeit zu schätzen. Die Wartezeit macht ihr nichts aus.
Solche Kundenbesuche macht Frau Werkmeister nur einmal pro Woche. Die restlichen Tage sind ganz der Arbeit in ihrer Werkstatt gewidmet. Sie sagt, es sei für sie die richtige Dosis an Kontakt zu ihren Mitmenschen, darüber hinaus arbeite sie lieber allein. Allein heißt hier auch: frei. Mir schien, dass sie diesen "Menschen-Tag" genießt.
In ihrer Werkstatt trägt sie eine Lederschürze. Auf dieser, genauso wie auf ihrem Wagen und ihrer Jacke prangt ihr Logo. Sie liebt ihre Arbeit. Das spiegelt auch die Einrichtung ihrer Werkstatt wider. Alles ist darauf ausgerichtet diese eine Sache so gut wie möglich zu machen. Alles ist so gelagert oder aufgehängt, dass es direkt gegriffen werden kann. Auch die Werkzeuge werden gegebenenfalls angepasst, so wie die Füllstäbe für die Wolle. Sie ist der andere wichtige Werkstoff. Über die Auswahl der Wolle und deren Dichte im Polster lässt sich der Sitz des Sattels maßgeblich beeinflussen.
Eigentlich ist Frau Werkmeister nicht allein in ihrer Werkstatt während sie mit Wolle oder Leder hantiert. Sie hat eine Auszubildende. Aber der etwas aus der Mode gekommene Begriff Lehrtochter scheint besser zu passen, denn während der Arbeit an den Sätteln wird so ziemlich alles besprochen, was sich besprechen lässt. Frau Werkmeister ist überzeugt, dass ihre Auszubildende den gleichen Weg gehen wird wie sie. Sie ist auch überzeugt, dass sie selbst nie wieder etwas anderes machen will und diese Leidenschaft ist sicher ansteckend.
Karolin Werkmeister. Sattlermeisterin. Passt gebrauchte und bei ihr neu erworbene Sättel an. Umfangreiche Beratung vor Ort zu allem was Sättel und Reiten betrifft.
Portrait
Schwedt
Text und Fotografie
Axel Lambrette
Auf einem großen Tisch liegen zugeschnittene Lederbahnen. Zwei bis drei Meter sind sie lang. Zwischen der Haut des Rindes und diesen Bahnen steht ein komplizierter und langwieriger Prozess. Der Bauer verkauft die Haut für vielleicht 15€. Sie muss dann gewaschen, gespalten und zugerichtet werden für das Gerben. Das Gerben bestimmt die Eigenschaften des Leders, die Festigkeit, Farbe und Widerstandsfähigkeit. Am Ende des Prozesses ist eine nun Leder gewordene Haut gut 600€ wert. Hier auf diesem Tisch liegt es als Werkstoff und wurde vorrangig mit Blick auf seine zukünftigen Aufgaben ausgewählt. Der Tisch steht in einer Werkstatt in einem Industriegebiet in Schwedt und gehört Karolin Werkmeister, die hier Reitsättel anpasst und repariert.
Sie fing mit 8 Jahren an zu reiten und zahlreiche Preisschleifen an den Wänden zeugen von dem großem Ernst mit dem sie diesen Sport verfolgte. Dazu gehörte auch, dass sie als Jugendliche immer wieder eine Lösung für zerrissenes Zaumzeug finden musste. Sie behalf sich mit Kordeln, Seilen und auch Lederriemen, die zuvor einen Tornister oder ähnliches halten mussten. Es war der Anfang einer Entwicklung, die im Rückblick etwas ganz Natürliches, Fokussiertes und Gradliniges hat. Wesentliche Stationen waren später ein Praktikum bei einem Sattler in Thüringen und ihre Ausbildung in Hannover bei G. Passier & Sohn GmbH, die sie direkt nach dem Abitur begann. Ihren Meisterbrief wiederum erhielt sie in Bayern. Sie ist stolz darauf eine Meisterin ihres Fachs zu sein und das lässt sich an deutlich mehr ablesen als an jenem Brief.
Wir stehen nördlich von Berlin auf einem Reiterhof. Auf einer Weide toben sich ein paar Pferde aus und vor uns steht der Wallach einer Kundin. Er würde es den anderen lieber gleichtun und versucht der Begutachtung zu entgehen. Auch die Reiterin scheint nervös. Frau Werkmeister untersucht den Pferderücken. Der Rücken spricht. Er erzählt von der Haltung der Reiterin, der Behandlung des Pferdes und den Gewohnheiten beider. Den Rücken verstehen zu können, setzt Erfahrung voraus. Frau Werkmeister strahlt die Autorität einer Frau aus, die diese Erfahrung hat - daher die Nervosität der Reiterin. Es geht nicht einfach darum, einen Sattel zu justieren. Es geht darum die Bedürfnisse von Reiterin und Pferd, vermittelt über dieses hochkomplexe Gebilde aus Leder, Wolle und Metall in Einklang zu bringen. Die Sattlerin braucht Einfühlungsvermögen in jede Richtung. Sie denkt physiologisch und psychologisch in Bezug auf Tier und Mensch. Sie muss so versiert in ihrem Handwerk sein, dass sie sowohl den "richtigen Sattel" als auch ihre Kunst immer wieder neu denken kann. Die Pferde und Menschen, Moden und Reitstile, sie ändern sich ständig.
Zusammen gehen wir in die Reithalle. Der weiche Hallenboden dämpft alle Geräusche zu einer konzentrierteren Atmosphäre. Reiterin, Pferd und Sattel ziehen Bahnen. Die Sattlerin beobachtet, filmt, fotografiert und gibt kurze Anweisungen. Alles wird in ein mehrseitiges Formular, dass sie selbst entwickelt hat, notiert. Später wird dieses als Vorlage für die notwendigen Arbeiten in der Werkstatt dienen.
In der Regel überarbeitet Frau Werkmeister die Sättel ihrer Kundinnen und Kunden nur. In diesem Fall ist allerdings der Baum, eine Art Skelett im Inneren des Sattels, gebrochen, was sehr selten passiert. An einem neuen Sattel führt dann kein Weg vorbei. Aus einer Auswahl, die im Firmentransporter immer mitreist zu Kundenbesuchen, empfiehlt die Sattlerin zwei Sättel, die geeignet sein könnten. Auch neu müssen sie angepasst werden. Da Frau Werkmeister sehr gefragt ist, wird sich die Kundin, bis sie wieder perfekt auf ihrem Pferd sitzen kann, ein paar Wochen gedulden müssen. Offenbar weiß die Kundin Frau Werkmeisters Arbeit zu schätzen. Die Wartezeit macht ihr nichts aus.
Solche Kundenbesuche macht Frau Werkmeister nur einmal pro Woche. Die restlichen Tage sind ganz der Arbeit in ihrer Werkstatt gewidmet. Sie sagt, es sei für sie die richtige Dosis an Kontakt zu ihren Mitmenschen, darüber hinaus arbeite sie lieber allein. Allein heißt hier auch: frei. Mir schien, dass sie diesen "Menschen-Tag" genießt.
In ihrer Werkstatt trägt sie eine Lederschürze. Auf dieser, genauso wie auf ihrem Wagen und ihrer Jacke prangt ihr Logo. Sie liebt ihre Arbeit. Das spiegelt auch die Einrichtung ihrer Werkstatt wider. Alles ist darauf ausgerichtet diese eine Sache so gut wie möglich zu machen. Alles ist so gelagert oder aufgehängt, dass es direkt gegriffen werden kann. Auch die Werkzeuge werden gegebenenfalls angepasst, so wie die Füllstäbe für die Wolle. Sie ist der andere wichtige Werkstoff. Über die Auswahl der Wolle und deren Dichte im Polster lässt sich der Sitz des Sattels maßgeblich beeinflussen.
Eigentlich ist Frau Werkmeister nicht allein in ihrer Werkstatt während sie mit Wolle oder Leder hantiert. Sie hat eine Auszubildende. Aber der etwas aus der Mode gekommene Begriff Lehrtochter scheint besser zu passen, denn während der Arbeit an den Sätteln wird so ziemlich alles besprochen, was sich besprechen lässt. Frau Werkmeister ist überzeugt, dass ihre Auszubildende den gleichen Weg gehen wird wie sie. Sie ist auch überzeugt, dass sie selbst nie wieder etwas anderes machen will und diese Leidenschaft ist sicher ansteckend.
Karolin Werkmeister. Sattlermeisterin. Passt gebrauchte und bei ihr neu erworbene Sättel an. Umfangreiche Beratung vor Ort zu allem was Sättel und Reiten betrifft.
Ein Projekt von:
Gefördert im Programm „Neulandgewinner“ der Robert Bosch Stiftung.
Ein Projekt von:
Gefördert im Programm „Neulandgewinner“ der Robert Bosch Stiftung.